"Ein beispielhaftes Opus"
Radfahrer sind Freizeitsportler, die über die durchradelten Gegenden möglichst wenig wissen wollen. Diesen Eindruck zumindest könnte man gewinnen, wenn man sich die drucktechnischen
Hilfsmittel anschaut, die die meisten von ihnen in den Satteltaschen haben. Es sind spiralgebundene Sammlungen von Kartenausschnitten, auf deren Rückseite die wichtigsten Telefonnummern
und ein paar dürre Hinweise auf die prominentesten Sehenswürdigkeiten zusammengetragen sind. Da tut es gut, einmal eine Publikation in den Händen zu halten, die den Namen Reiseführer verdient.
Weil weiter gehende Informationen in den handelsüblichen Reihen nicht vorgesehen sind, mußte Frank Wittenbrock sein 288-Seiten-Opus im Selbstverlag herausgeben. Das Ergebnis ist aber nicht
etwa gut gemeint und halbprofessionell, sondern beispielhaft - und das auch in technisch-praktischer Hinsicht.
Maßstäbe setzt schon der achtseitige, mit Glanzcellophan versiegelte Umschlag. Er enthält nicht nur eine Übersicht über den Tourenverlauf und eine VCD-Fahrplankarte für Bahn und Bus, sondern
auch Entfernungstabellen für die individuelle Reiseplanung. Im Innern finden sich dann ansprechend geschriebene Wegbeschreibungen mit exakten Kilometerangaben am Seitenrand, brauchbare Detailkarten,
ein Serviceteil mit Adressen und Telefonnummern und immerhin hundertzwanzig gute Farbfotos. Zum Gelungensten gehören die Portraits der kulturell interessantesten Städte und die farblich voneinander
unterschiedenen Info-Kästen, in denen es nicht nur um die klassischen Sehenswürdigkeiten geht, sondern auch um "Sagenhaftes und Hintergründiges". Besonders praktisch: Dank der strapazierbaren
Fadenheftung kann das kleinformatige Buch aufgeschlagen in der Lenkertasche benutzt werden. Lohnend ist auch der Gegenstand selbst: der kaum bekannte hessisch-thüringische Mittelgebirgsraum
rund um die ehemalige deutsch-deutsche Grenze mit seinen intakten Landschaftsbildern und unfaßbar schönen Fachwerkstädtchen.
Frank Wittenbrock schlägt eine vierhundertzwanzig Kilometer lange Rundreise vor, bei der man von Hannoversch Münden aus der Werra aufwärts folgt, in Vacha auf die aufgelassene Bahntrasse des
Ulstertals wechselt, an deren Ende mit kurzem Anstieg die Wasserscheide der Rhön überquert und schließlich an der Fulda abwärts radelt - weitestgehend autostraßenfrei, naturnah und gut markiert.
Aufgrund der übersichtlichen Etappeneinteilungen bieten sich aber auch Tages- und Wochenendtouren an, zumal ein großer Teil der Route an stündlich bedienten Bahnstrecken entlangführt - und die Fahrräder
kostenlos mitgenommen werden.
Bedauerlich ist freilich, daß im Anhang nur ein Teil der ohnehin spärlichen Unterkünfte erwähnt wird, denn gerade am Wochenende hat man Mühe unterzukommen und ist für jede Adresse dankbar.
Zum Glück ist in einigen der vielen hübschen Städtchen Thüringens das Verkehrsamt aber auch sonntags besetzt - wovon man im vermeintlich vorbildlichen Westen vielerorts nur träumen kann.
G. Fitzthum FAZ-Ausgabe vom 10. März 2005